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Ich bin immerhin schon elf

Als unsere Große vor knapp elf Jahren das Licht dieser Welt erblickte lag ihre Zukunft vor meinem geistigen Auge sonnenklar vor mir. Eine starke Persönlichkeit würde sie werden, ein Vorbild für Lehrer, Eltern, ihre Freunde und den tugendsamen Herrn Pfarrer. Eine Zierde der Universität und ein Licht in den kommenden dunklen Tagen meines Alters.

Die ersten Jahre verliefen sehr zufriedenstellend. Nur als sie etwa drei Jahre alt war, alarmierte uns einmal markerschütterndes Gebrüll aus dem Badezimmer. Unser Kind hatte Mutters Nivea- Dose entdeckt und sich von Kopf bis Fuß eingecremt. Die Kleidung hatte sie dabei anbehalten.

Kleinigkeiten. In dem Alter habe ich einmal den halben Straßenzug in Finsternis getaucht, als ich mich in männlicher Entdeckerfreude mit einem Schraubenzieher über die elterlichen Steckdosen hermachte.

Nach den ersten Besuchen in der Schule stellte sich heraus, daß ihre starke Persönlichkeit sich zuweilen darin äußerte, daß sie durch abruptes Verlassen der Klasse ihrem Unmut über die Unterrichtsgestaltung Ausdruck verlieh.

Auch mit einigem guten Willen konnte die Lehrerin darin keine Vorbildfunktion erkennen und gemahnte uns an unsere Erziehungspflichten.

Das Kind entwickelte sich normal. Nur ich lernte ständig dazu. Dazu gehörte die Erkenntnis, daß Siebenjährige es vorziehen einer Protagonistin namens Blümchen oder den Spice Girls zu lauschen, anstatt sich an Mozart oder Beethoven zu delektieren.

Und auch, daß ein Besuch im Kinderzimmer lebensgefährlich sein kann. Nach einem wilden Ritt auf einem achtlos abgelegten Skateboard quer durch die Wohnung brachte das brave Kind mir immerhin warmen Tee ans Krankenlager.

"Ich bin immerhin schon elf!", erklärte sie unlängst kategorisch, anläßlich irgend einer banalen Auseinandersetzung. In der Tat, ein bemerkenswertes Alter.

Die gleiche Sprache sprechen wir auch nicht immer. Mit Vokabeln wie "total cool", "kraß" oder "ätzend" habe ich immer noch meine Probleme.

Seit zwei Tagen hängt ein Schild am Kinderzimmer, "Für Erwaksene verboten". Hinter der Tür hört man die künftige Zierde meines Alters mit kessen Freundinnen kichern und tuscheln. Zunehmend mehr geht es dabei um Jungs und die Planungen künftiger Partys.

Der tugendsame Herr Pfarrer sollte sich vielleicht an dieser Stelle einschalten ehe es zu spät ist.

Aber wahrscheinlich bin nur ich es, der wieder einmal dazulernen muß. Aus Kindern werden eben Leute und bei meinem kleinen Mädchen sind die zarten Knospen erster Fraulichkeit, leider viel zu früh, unübersehbar.

Gestern abend bin ich nachts noch einmal ins Kinderzimmer gegangen. Mit dem Gesicht eines Engels lag sie im Bett, meine kleine Große und schlief.

Im linken Arm ihren geliebten Rex- Stoffhund, rechts ihr altes zerzaustes Püppchen, vom CD- Player klang ganz leise Mozarts Kleine Nachtmusik und von den unzähligen Postern an den Wänden blickten Blümchen, die Spice- Girls und der aktuelle Teenagerschwarm auf die Szene.

   

 

00014- Ich bin immerhin schon elf: (c) Rainer Peterburs, 1998
Veröffentlichungen: 1999 Abendblatt Zehlendorf, 2008 dasjahrbuch.de, 7/2009 Roseneck Magazin

Privater Abdruck unter Aurorennennung frei, Eine gewerbliche Nutzung bzw. Veröffentlichung ist kostenpflichtig und bedarf meiner ausdrücklichen Genehmigung